Platsch! Ein Spiel in Filz

Platsch! Gemeinsam ein Spiel erfinden und sich Gedanken über Regeln machen…

Wie alles begann…

Ich arbeitete damals mit Kindern, die, obwohl sie noch im Grundschulalter waren, bereits ziemlich frühreif erschienen und mich und meine Grenzen pausenlos austesteten. Um Ehrlich zu sein, war ich ein wenig ratlos, denn selten bis nie machte es mir eine Gruppe so schwer wie diese. Ich konnte mir vorstellen, dass sich die Kinder nicht ohne Grund so herausfordernd verhielten, wie sie es taten. In dieser Gegend schien das Recht des Stärkeren omnipräsent und die Umgangsformen werden zu Hause nicht weniger rauh gewesen sein als auf dem Schulhof. Ich wollte diese Gruppe nicht mit Drohungen und Sanktionen zur Mitarbeit bringen – das widerspricht meinen Vorstellungen von Schule völlig. Also kam mir der Gedanke, dass wir uns spielerisch mit dem Sinn von Regeln auseinandersetzen müssten.

Die Kinder selbst müssten auf den Gedanken kommen, dass es ein paar Spielregeln auch im Miteinander geben muss, an die sich alle gebunden fühlen, damit das Ganze gut funktioniert. Leider ließen organisatorische Umstände hier auf Dauer keine sinnvolle Arbeit mit dem Material Wolle zu, weshalb ich diesen Kurs nach einem halben Jahr beendete. Zu gerne hätte ich noch erlebt, ob mein spielerischer Ansatz hier weitergeholfen hätte?

Umsetzung an einer anderen Brennpunktschule

An einer anderen Schule, wo die Kinder weniger stark das Bedürfnis nach ständiger Kontrolle leben mussten wie in der zuvor geschilderten Gruppe, erfragte ich gegen Schuljahresende die Bereitschaft, sich für ein Projekt einzusetzen, dessen Ende man vermutlich nicht mehr miterleben werde. Erfreulicherweise fand ich Kinder, die mit dem Filzen des Spielteppichs anzufingen. Im nächsten Schuljahr begann ich dann mit dem Teppichvorfilz offiziell das Projekt “Platsch” und hatte wie meist eine Gruppe von Erstklässlern und eine von Dritt-/Viertklässlern vor mir. Ich hatte Rolf Zuckowskis bekanntes Lied vom Osterhasen Stubs als Anregung mitgebracht.  In der Gruppe mit den älteren Kindern wurden die meisten Regeln erarbeitet und die Avatare gefilzt. Die jüngeren Kinder setzten sich stärker für die Gestaltung des Spieles an sich ein und filzten kleine Osterhasen als Spielfiguren (die auch sie natürlich zuletzt mit nach Hause nahmen).

Von der Spielidee bis zum Würfel

Wir wollen gemeinsam ein Spiel erfinden. Woran müssen wir denken? Was für Zutaten benötigt so ein Spiel? (Spielidee, Figuren, Regeln fürs Voranschreiten, Regeln für die Bestimmung des Gewinners) Wie machen wir es für 10 Kinder spielbar? (zwei Teams spielen gegeneinander), brauchen wir wirklich Regeln für das Spiel?

Ach ja? Ehrlich! Erzähl mal, wofür sind Regeln denn da? Was für Regeln kennst du sonst noch? Unter welchen Umständen funktionieren Regeln überhaupt? (alle müssen sie kennen und sich daran halten)

Und dann wurde es langsam spannend. Wir fingen an, Regelstücke aus anderen uns bekannten Spielen auf unser Spiel anzuwenden, z.B. den Start nach einer gewürftelten 6 bei Mensch ärgere dich nicht! Leider ergab das in unserem Fall überhaupt keinen Sinn. Bei zehn Kindern braucht es ewig, bis alle im Spiel sind und die Hälfte ist bis dahin schon wieder herausgeworfen worden, weil der Würfel meist nur zu den ersten 6 Feldern führen kann. Das sind vier zu wenig…

Also gibt es auch sinnlose Regeln? Was machen wir jetzt? Die Regeln ändern? Oh Gott oh Gott, nein? Warum nicht?

Es war wirklich niedlich mit anzusehen wie sehr die Kinder an dieser Schule auf einmal gegebene Regeln vertrauten und es lag mir fern sie davon abzubringen, aber diese eine im Übrigen von uns selbst vereinbarte Regel war offensichtlich nicht sinnvoll. Ich lud ein darüber nachzudenken, unter welchen Umständen wir denn eine neue Regel aufstellen könnten?

Ergebnis:

Die alte Regel wird von allen als sinnlos erkannt. (neue Erkenntnis)

Es gibt mind. einen Vorschlag für eine neue Regel, den alle ausprobieren wollen, weil sie ihn für besser halten. (Erprobung von Alternativen)

Wenn die neue Regel besser funktioniert als die alte und alle einverstanden sind, dann wird sie endgültig geändert. (gemeinsame Bewertung der Alternativen und einstimmiger Beschluss über die neue Regel)

Die Kinder wollten das Spiel verbessern. Für mich war das eine Übung in angewandter Demokratie.

Die Spielidee bleibt, die Regeln werden weiterhin modifiziert!

Ich will hier nicht alle Details verraten, denn das Spiel hat bislang schon so viel Spaß gemacht, dass wir es vielleicht irgendwann einmal einem Spieleverlag anbieten werden. Aber Stubs, der schusselige kleine Osterhase hat mal wieder alle Eier verloren. Die meisten sind zerbrochen, die restlichen helfen wir ihm nun wieder einzusammeln. Kleine Osterhasen müssen sich vor Hennen in Acht nehmen, die sie gerne auszubrüten pflegen und auch Möhrchenfelder sind eine große Ablenkung. Hier kann man aber trotz Aussetzens immerhin noch Pünktchen für die Gruppe sammeln.

Es ist wahnsinnig interessant den Kindern bei ihren meist nicht bewussten Strategien zuzusehen. Da sind Gruppen, die sich sofort als Team begreifen und andere, wo jeder für sich spielt. Interessanterweise gewinnt bei diesem Spiel selten der Schnellste und manchmal kann es sinnvoll sein, selbst ein Ei (einen Punkt) herzugeben, um der Gruppe damit zum Erreichen des Ziels zu helfen. Nicht jedem ist das sofort klar.

Da wir die Originalspielfiguren nicht mehr haben, filzen wir uns entweder neue Hasen oder wir nehmen Becher, Smileys oder was immer uns gerade zur Verfügung steht. Dem Spiel schadet das nicht. Eines bleibt immer gleich: Die Verlierergruppe hoppelt am Ende um den Tisch und hat dabei soviel Spaß, dass die Gewinner meistens gleich hinterher wollen!

Manchmal erkennen wir, dass es noch ungeregelte Situationen gibt. Dann überlegen wir uns gemeinsam, wie man die lösen könnte. Manchmal haben die Kinder das Bedürfnis unbillige Härten abzuschwächen, denn schließlich könnte es einem ja mal selbst zustoßen – Empathie! Ich lege Wert darauf, dass die Regeln weiterhin verhandelbar bleiben. Wer eine gute neue Idee hat, der kann die zur Erprobung und Abstimmung stellen. Das Spiel lebt und wir haben verstanden, dass Regeln kein Selbstzweck sind, sondern das Leben einfacher machen können.

Ein Dank an meine alte Schule

Ich war auf der St. Ursula Schule in Düsseldorf und dort hat man mir immer wieder gesagt, ich solle stets meinen Kopf benutzen und Anweisungen/Regeln/Befehle hinterfragen. Insbesondere mein Geschichtslehrer fand das enorm wichtig. Ich bin meiner Schule sehr dankbar dafür, dass man mich dort Denken gelehrt hat, denn (wie meine Chemielehrerin einmal meinte) den Rest kann man ja nachschlagen…